Über das Geschehene zu reden kostet Betroffene meist große Überwindung, da dies oft mit Ängsten, Befürchtungen und starken Schuld- und Schamgefühlen verbunden ist. Ein unterstützendes Umfeld nach dem Erleben sexualisierter Gewalt ist aber essentiell wichtig für die Betroffene und deren Umgang mit dem Erlebten.
Sexualisierte Gewalt stellt nicht nur für Betroffene Mädchen* und Frauen*, sondern in der Regel auch für deren Bezugspersonen eine große Belastung dar. Auch sie sind meist mit einer breiten Gefühlspalette aus Wut, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Sorge, Angst und Überforderung konfrontiert. Auch als Bezugsperson (Freund_in, Eltern, Partner_in, Vertrauensperson, Pädagog_in, Unterstützer_in, …) haben Sie die Möglichkeit bei uns Unterstützung zu finden. Im Folgenden wird ein kurzer „Leitfaden“ an die Hand gegeben, der eine erste Orientierungshilfe im Umgang mit Betroffene geben soll. Dieser wurde von der Diplom Psychologin Angelika Treibel, Professorin für Kriminologie an der Universität Heidelberg, ausgearbeitet.
Regel 1: Seien Sie präsent
Die vielleicht wichtigste Regel. Seien Sie präsent und mit Ihren Sinnen aufmerksam für die konkrete Situation und Ihr Gegenüber. Betroffene spüren meist, ob jemand wirklich anwesend ist oder nicht. Sie müssen nichts tun oder leisten, aber eben für die Betroffene in der Situation anwesend und ansprechbar sein. Hören Sie einfach zu. Seien Sie aufmerksam für das, was Ihnen mitgeteilt wird, ohne es zu bewerten oder es in Frage zu stellen.
Regel 2: Achten Sie auf sich selbst
Es ist hilfreich, wenn Sie sich nicht in der Situation „auflösen“. Achten Sie auf Ihre Grenzen. Machen Sie transparent, wie es Ihnen geht, wenn es die Situation erfordert. Wenn Sie eine Betroffene über längere Zeit begleiten, können Sie sich zu Ihrer Entlastung selbst professionelle Hilfe in unserer Beratungsstelle suchen.
Regel 3: Fragen Sie nach Bedürfnissen
Jeder Mensch ist anders. Auch wenn es typische Bedürfnisse von Betroffenen gibt, können Sie nicht wissen, was eine Person in einer konkreten Situation braucht, wenn sie es nicht direkt äußert. Es kommt leider häufig vor, dass danach nicht gefragt wird. Fragen Sie also ganz direkt: „Was kann ich tun, um dich zu unterstützen? Was brauchst du jetzt im Moment?“
Regel 4: Bauen Sie Brücken
Es ist hilfreich gemeinsam zu besprechen, was die Betroffene direkt nach dem Gespräch macht und mit ihr den heutigen Tag, oder die Woche noch zu planen und zu besprechen. Sie können der Betroffenen auch Telefonnummern von Opferschutzeinrichtungen oder Krisenhotlines weitergeben.
Regel 5: Kommentieren Sie nicht
Betroffene sind häufig sehr sensibel und hellhörig, was die Bewertung ihres eigenen Verhaltens betrifft. Alle Warum-Fragen oder alles im Sinne von „warum hast du das so gemacht“ oder „hättest du doch gemacht“ sind dazu geeignet, bei der Betroffenen Verunsicherung und Grübeln zu verstärken. Sie als Gesprächspartner_in sind nicht die Instanz, die entscheidet, was richtig oder falsch ist. Betroffene brauchen kein Verhör, keine Vorwürfe, kein überbeschützendes Verhalten oder Drängen (z.B. zu einer Anzeige).
Quellenhinweis: Treibel, Angelika (2015): Fünf Grundegeln für Gespräche mit Betroffenen von Gewalt und sexueller Grenzverletzungen.